Einst in der Spülküche, heute im Schloss
Erst Spüler mit null Deutschkenntnissen, dann im Service und mit 35 eine Kochlehre? Geht. In der Gastrobranche ist alles möglich. Sogar mit anschliessender Karriere: Adem Özütürk ist seit zehn Jahren erfolgreicher Pächter und Küchenchef der Wirtschaft zum Schlössli Haggen in St. Gallen.
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Adem Özütürks Erfolgsgeheimnis für eine Gastrokarriere von null auf hundert: «Die Arbeitswoche hat fünf Tage, nimmt man noch eine Nacht extra dazu sowie Engagement und Passion, erreicht man sein Ziel.»
Auberginentatar, Kalbsleberli und polynesisches Curry
Seit 2024 ist Özütürk Mitglied der Gilde etablierter Schweizer Gastronomen. «Für uns Köche ist die Aufnahme in die Gilde eine grosse Bestätigung – für unsere tägliche Arbeit und für unsere Leidenschaft.» Und diese Leidenschaft spiegelt sich in seiner klassischen Küche mit Glanz und Raffinesse wider. Die Schlössli-Gerichte sind von mediterranen, türkischen und asiatischen Einflüssen geprägt. Die Auswahl reicht vom Auberginentatar mit geröstetem Brot, Kräuter-Pflücksalat mit Granatapfeldressing über gutbürgerliche Klassiker wie Kalbsleberli mit knuspriger Rösti, Voressen oder Gitzi bis zu polynesischen Currys. Özütürk ist fasziniert von Polynesien. «Dorthin geht meine nächste Reise», sagt er mit leuchtenden Augen.
Mindestens viermal jährlich passt er die Karte saisonal an. Das beliebte Schlossmenü, ein Fine-Dining-Sechsgänger für 109 Franken, wechselt monatlich. Da kommt dann zum Beispiel eine fruchtige Zitronengrassuppe mit Jakobsmuschel ins Spiel, eine Entenbrust mit Entenleber auf Basilikumhummus, ein Wolfsbarschfilet mit Orangen-Rüebli-Risotto oder eine geschmorte Kalbsbacke sowie eine Matcha-Mousse zum Abschluss. Die Inspiration zu seinen Kreationen findet er in sich selbst. Er geht sehr gerne auswärts essen, um zu sehen, mit was andere Köche brillieren, und er beobachtet Trends, etwa was in den 500 besten Restaurants der Welt gerade angesagt ist. Gefällt ihm etwas, adaptiert er es nach seinem Stil.
Alles, was möglich ist, wird in der Schlössli-Küche selbst zubereitet, bis auf die Pasta. Die Ravioli bezieht er bei einer kleinen Manufaktur in Bern, und die Tagliolini fertigen zwei Italienerinnen aus der Nachbarschaft für ihn an. «Mit meiner Nudelmaschine, die bei ihnen steht», fügt Özütürk lachend an. Er selbst mag am liebsten Ghackets mit Hörnli und im Sommer einen Wurstsalat. Nach all den Jahren in der Schweiz ist nicht nur sein Gaumen längst assimiliert. Ganz anders zu seinen Anfangszeiten in den 1980er-Jahren, damals war das schweizerische Essen für ihn völlig anders und vor allem ungewohnt. «Viel Fleisch, Kartoffeln in allen Variationen und wenig Gemüse», sagt er lachend. «Jedes Gemüse war gedämpft, und es gab immer Mandelsplitter auf dem Broccoli!»
«Es ist ein Beruf des Dienens, das muss man können»
Auch nach zehn Jahren im Schlössli Haggen ist Özütürk motiviert wie am ersten Tag. Stillstehen ist keine Option. Es sei wesentlich, an sich zu arbeiten und sich positiv zu formen. «Wenn man seinen Beruf während mindestens zehn Stunden am Tag ausübt, sollte man es gut machen, damit man Freude entwickelt und eine Passion entstehen kann», erläutert er. «Sieht man ihn nur als Job an, ist die Gastronomie die falsche Wahl. Logistiker wäre da passender.» Er versucht stets, seine Motivation an seine Mitarbeitenden weiterzugeben und Zeit für die Lernenden zu finden, damit diese von seinen Erfahrungen profitieren können. Aktuell hat er nur einen Kochlernenden. Es sei schwierig, gute Lehrlinge zu finden. «Sie kommen mit grossen Erwartungen und glauben, es gehe in einer Küche zu und her wie bei den Kochshows im Fernsehen», erzählt er lachend. «Dabei ist es ein Beruf des Dienens, das muss man können, auch wenn es einem nicht jeden Tag gelingt.»
Er ist davon überzeugt, dass eine Geschichte wie seine auch in der heutigen Zeit möglich ist. «Solange man den Willen hat und nie die Freude verliert, wird man sein Ziel erreichen», führt der Schlössli-Wirt aus. Er ist zufrieden mit all dem, was er erreicht hat. Freuen würde er sich, wenn seine Nachfolger einst sähen, was ihr Vorgänger geleistet habe, und er ihnen etwas hinterlassen könne. Und man vermutet, dass sich inzwischen auch seine Eltern mit seiner Berufswahl versöhnt haben und stolz auf ihn sind. «Ja, heute sind sie stolz auf mich, aber sie betrachten es weiterhin nicht als Beruf», sagt er schmunzelnd. «Ein Beruf bedeutet für sie Anwalt oder Doktor.»
Eine Rückkehr in die Türkei hat er nie in Betracht gezogen, St. Gallen ist zu seiner Heimat geworden, er besitzt auch den Schweizer Pass. «Wenn ich nach den Ferien in Zürich auf dem Flughafen lande, Winterthur hinter mir liegt und ich langsam nach Wil komme und den Säntis sehe, dann bin ich zu Hause.»
Quelle: GastroJournal