«Ich will unsere Handwerkskunst am Leben erhalten»
Zwei Betriebe, zwei Konzepte, eine Küchenchefin: Corin Schmid verantwortet die Kulinarik der zwei Zürcher Restaurants Drei Stuben und The Artisan. Wie schafft sie es, ihre Ansprüche und Werte beim Wandeln zwischen den zwei unterschiedlichen Betrieben einzulösen – und dabei stets so fröhlich zu sein?
Bildquelle: GastroJournal
Jung und engagiert: Corin Schmid begeistert als Küchenchefin von zwei Betrieben.
Herumsitzen fällt ihr schwer: Corin Schmid (31) ist immer irgendwie aktiv. So bewältigt sie ihren anspruchsvollen Alltag als Küchenchefin der zwei Stadtzürcher Betriebe Drei Stuben (10 Mitarbeitende, 75 Plätze innen, 90 aussen) und The Artisan (20 Mitarbeitende, 100 Plätze innen und aussen). Unterstützt wird sie von zwei engagierten Teams und vom Gastgeber Mark Thommen, gebürtiger Australier und erfahrener Koch, der mit seinen Partnern (Nordgarten Gastronomie) als Pächter amtet.
Schmid absolvierte ihre Kochlehre im Hotel Metropol in Arbon TG, lernte im Restaurant Netts in St. Gallen die Pâtisserie «by doing» und hängte ein Servicepraktikum an. Nach einer kurzen Servicekarriere war ihr klar: «Ich will zurück in die Küche, ich sehe mich nirgendwo anders.» Es folgten vier Jahre bei Anton Mosimann im Belfry in London (GB). Vor sechs Jahren startete sie im Artisan in Zürich, vor drei Jahren übernahm sie den Küchenchefposten von Mark Thommen. Seit November 2022 ist sie auch Küchenchefin im Restaurant Drei Stuben. Schmid wuchs in Egnach TG auf und lebt in Zürich
Die 31-jährige Thurgauerin verantwortet auch die Küche des urbanen Restaurants The Artisan in Zürich-Wipkingen. Die Doppelrolle ist auf sie zugeschnitten und schafft Raum für ihre Kreativität, die sich in ihren aromastarken Gerichten kumuliert. Sie fordert aber auch viel von ihr.
Corin Schmid, ist der Personalmangel heute so gross, dass Sie als Küchenchefin gleich zwei Restaurants verantworten?
Corin Schmid: Der Personalmangel zeigte sich erst, nachdem ich mich dazu entschieden hatte, neben dem Artisan auch das Drei Stuben als Küchenchefin zu übernehmen. Doch dieser ist inzwischen auch bei uns angekommen. Mein Alltag ist im Moment recht sportlich (lacht).
Wie kam es dazu, einen zweiten Betrieb als Küchenchefin zu übernehmen?
Das ist eine lustige Geschichte. Ich bin bereits seit sechs Jahren im The Artisan, und eines Tages fragte mich der Pächter Mark Thommen: «Was hältst du von einem zweiten Restaurant?». Als der Name Drei Stuben fiel, sagte ich sofort: «Ich bin dabei, das machen wir.» Es war wie ein Heimkommen. Ich habe bereits vor zehn Jahren hier gearbeitet, bei Marco Però. Das Drei Stuben hat einfach etwas Besonderes.
Beide Betriebe haben an sieben Tagen geöffnet, wie teilen Sie sich auf?
Etwa 50 zu 50. Ich bin ein bisschen der Joker beider Betriebe, falls jemand ausfällt, ein Menü gewechselt werden muss oder etwas Unerwartetes passiert. Dann bin ich sofort im jeweiligen Betrieb anwesend. Das funktioniert dank den zwei unterschiedlichen Teams, die beide voll hinter mir stehen. Einen geregelten Tagesablauf habe ich zurzeit nicht, aber es macht Spass, und die zwei Konzepte geben mir viel Raum, mich auszuleben und kreativ zu sein. All das gibt mir den Drive – ich liebe meinen Job!
Kulinarisch setzen Sie im 200 Jahre alten Restaurant Drei Stuben auf traditionell-schweizerische Gerichte wie das Stübli-Entrecôte. Im Artisan bestimmt eine trendig-urbane Gartenküche und Brunches die Karte.
Wie locker wechseln Sie zwischen den kulinarischen Welten hin und her?
Problemlos. Kreiere ich ein neues Menü, bin ich im entsprechenden Restaurant vor Ort. Im Artisan laufe ich durch unseren Garten, dann bin ich von der Stimmung her sofort drin. Und sitze ich im Drei Stuben in der urchigen Stube, passt vom Ambiente und Gefühl her gleich alles zusammen.
Haben die Betriebe auch kulinarische Gemeinsamkeiten?
Ja, der gemeinsame Nenner ist die Naturverbundenheit. Im Artisan ist es der Bio-Gemüsegarten, für das Drei Stuben haben wir Helga, eine ältere Dame, die in den Zürcher Wäldern umherstreift und für uns Beeren, Pilze, Hagebutten, Cornellkirschen, Wildblumen und -kräuter sammelt. Sie hat mich auch schon an ihre geheimen Orte mitgenommen, und freut sich so, wenn jemand die Liebe für diese Naturprodukte teilt. Kürzlich stand sie mit drei Kilo Steinpilzen da, mit denen wir kurz vor dem Abendservice noch ein Gericht kreierten: sautierte Steinpilze mit flüssigem Eigelb, Kräutercreme, Kalbsjus und Sauerteigcrumbles. Dazu das Storytelling. Das lieben die Gäste, das Gericht war noch am selben Abend ausverkauft.
Beide Betriebe fokussieren auf regionale Produkte und eine Slowfoodküche. Inwiefern können Sie da Synergien nutzen?
Wir berücksichtigen für beide Restaurants dieselben Produzenten. Ich bestelle gleichzeitig für beide Betriebe und setze den Liefertag auf den gleichen Tag an. Das spart Zeit, Kosten und Energie.
Sie achten stark darauf, woher die Produkte kommen und wer sie produziert.
Ja, wir pflegen einen engen Kontakt mit unseren Produzenten, und besuchen sie auch, damit unsere Köche sehen, woher die Produkte stammen. Wir arbeiten mit Slow Grow in Mönchaltdorf, der Bio-Metzgerei Gebrüder Weber in Wetzikon, der Edwin Wagner Bäckerei in Wiedikon, dem Marinello Farm-Netzwerk oder der Mozzarellamanufaktur Idea Salentina in Kemptthal. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich in beiden Betrieben immer ein Gericht mit ihrer Stracciatella auf dem Menü führe, es ist einfach ein so tolles Produkt.
Wo stossen Sie mit dieser Produktestrategie an Grenzen?
Zu Beginn hatte ich vor allem im Winter Mühe, da primär nur Wurzelgemüse wie Randen, Pastinaken oder Sellerie wächst. Dies lernte mich, ausserhalb der Box zu denken. Nach drei Monaten intensiven Tüftelns entstand ein Gericht, dass mich seit Jahren in immer neuen Varianten begleitet und es in beiden Restaurants regelmässig auf die Karte schafft: ein Wurzelgemüse-Bourguignon. Dazu stelle ich einen Gemüsejus aus 30 verschiedenen gerösteten Wurzelgemüsen und Kräutern her. Danach wird das Gemüse dehydriert, bis es eine fast fleischige Konsistenz erhält, und dann als Fleischersatz in den reduzierten Jus kommt. Mal lege ich einen geräucherten Pilz dazu, oder ich integriere es in unser «Wild ohne Wild»-Gericht.
Da steckt viel Handarbeit drin.
Bei uns ist alles Handarbeit! Ich bin ein Riesenfan unserer Handwerkskunst. Es ist wichtig, diese am Leben zu erhalten. All meine Köche arbeiten mit Freude auf diese Weise. Wir bestellen ganze Tiere, beinen selbst aus und verwenden alles. Es ist zeitaufwendig und eine Sauerei (lacht). Aber vor allem mein Souschef Beni macht das sehr gern.
Diese Naturverbundenheit und der Respekt vor dem Tier: Wie weit hat das mit Ihnen persönlich zu tun?
Viel. Ich wuchs sehr ländlich in einem Bauernhaus in Egnach im Kanton Thurgau auf. Wir hatten viele Tiere – Hasen, Hühner, Hunde und Katzen. Die Liebe und der Respekt zum Tier und zur Natur sind tief in meinen Wurzeln drin. Ich gehe gern zurück nach Egnach. Es ist wie ein Reset, dort kann ich richtig runterfahren.
Sie haben vier Jahre bei Anton Mosimann in seinem Belfry & Private Dining Rooms in London gearbeitet?
Ja, ich wollte nur ein Jahr bleiben, es wurden vier (lacht). Ich habe so viele tolle Events mit ihm gemacht, auch im Buckingham-Palast. Anton läuft in diesem herum, als ob er dort zu Hause wäre. Es ist eine andere Welt und ziemlich eindrücklich, auch die Küche: Sie ist riesig wie eine Turnhalle und dann die Brigade: enorm.
Was haben Sie als junge Köchin vom gestandenen Sir mitgenommen? Was hat Sie am meisten geprägt?
Er sagte stets: «Ich bin der last Gentlemanchef». Und dies lebt er auch. In seiner Küche wird diszipliniert und mit Respekt gearbeitet, man unterstützt sich, und dies in einem anständigen Ton. Und er hat Recht! Das trägt so viel zum Arbeitsklima bei, niemand will in einer Küche arbeiten, in der man sich anflucht oder ein Konkurrenzkampf vorherrscht. Man muss das Beste voneinander herausholen. Das habe ich bei ihm gelernt. Stelle ich Leute ein, thematisiere ich diesen Punkt im Bewerbungsgespräch. Mir ist das Miteinander enorm wichtig. Und ich habe von ihm gelernt, Eier perfekt zu pochieren (lacht)! Sehr hilfreich, denn im Artisan pochieren wir während eines Brunchs jeweils 300 Eier …
Bei der Kreation eines neuen Gerichts: Was ist zuerst da – das Produkt oder die Idee?
Die Karten wechseln alle zwei Monate. Mal hat ein Produkt gerade Saison, mal entdecke ich etwas Handgefertigtes bei einem Produzenten. Im Herbst brachte Helga wilde Quitten. Die sind kleiner, nicht so pelzig, und das Aroma ist der Hammer. Ich habe sie eingekocht und als Brunch-Vorspeise mit Stracciatella und Granola aus Buchweizen serviert. Andererseits bin ich ein grosser Fan von klassischen Techniken und Gerichten. Ich liebe es, diese anders zu interpretieren, da wird dann ein Beef Filet Wellington zu einem Kürbis Wellington.
Die Gastronomie ist ziemlich im Umbruch. Neue Arbeitszeitmodelle, Personalmangel, steigende Kosten. Wie sieht Ihr Modell aus, damit ein Betrieb langfristig überleben kann?
Wir stellen uns den Herausforderungen der Branche, indem wir ein positives Arbeitsklima fördern und Stellen mit Perspektive anbieten, um gute Teammitglieder zu gewinnen und zu halten, die flexibel an verschiedenen Stationen arbeiten können. Dazu konzentrieren wir uns weiterhin auf Qualität, und wir tun unser Bestes, um im Einklang mit der Umwelt zu arbeiten, und suchen ständig nach innovativen Wegen, um unsere Menüs, Konzepte und Ressourcen zu optimieren und so dem Personalmangel und den steigenden Kosten entgegenzuwirken.
Das Konzept der Küchenchefin in zwei Betrieben weist viele Vorteile auf. Wo liegen die Nachteile?
Freizeit ist aktuell kaum planbar, aber ich muss mir Zeit für mich nehmen, um abzuschalten. Schwierig ist es oft vom sozialen Aspekt her, für beide Teams permanent voll da zu sein. Viele nennen mich «Mami» (lacht). Geht es jemandem nicht gut, möchte ich mich mit der Person hinhocken und versuchen, das Problem zu lösen. Doch manchmal bin ich gerade dann im anderen Betrieb.
Wo geht Ihre kulinarische Reise hin? Was steht noch an?
Ich würde wahnsinnig gern ein Kochbuch machen, etwas Cooles über The Artisan mit dem Garten und all den Projekten. Wir haben dort eine Kompostmaschine, die mittels Enzymen Foodreste innert 24 Stunden zu kompostierbarer Erde verarbeitet. Ein Teil davon geht zurück auf die Felder unseres Produzenten Slow Grow. Sie pflanzen auf dieser Komposterde die rote – fast vergessene – Gartenmelde für uns an, die wir heute in Gerichte einbinden. Solche Geschichten würde ich in das Buch packen, ergänzt mit Rezepten. Ich bin optimistisch, dass dies irgendwann passiert.
Bald ist Weihnachten, wie feiern Sie?
Weihnachten heisst für mich heimzugehen nach Egnach, mit meinen Eltern zusammen zu kochen, zu entspannen und einfach mal nichts zu tun. Danach werde ich noch irgendwo an einen Strand liegen, damit ich mit frischer Energie ins neue Jahr starten kann. Das hat sich bewährt.
Wenn Sie für 2024 einen Wunsch frei hätten, lautete dieser …
… dass wir das Drei Stuben an einen Strand stellen und eine Bar davorstellen könnten, um es dort weiterzuführen.
Quelle: GastroJournal